Ulcus cruris
Liebe Patientin, lieber Patient.
Man schätzt, daß etwa 1 Million Menschen in den alten Bundesländern an einem offenen Bein, dem sog. Ulcus cruris leiden. Die meisten davon auf dem Boden einer unbehandelten schweren Krampfadererkrankung oder der unbehandelten Folge einer tiefen Beinvenenthrombose (TVT), dem sog. postthrombotischen Syndrom (PTS). Neben dem Leid und dem Kummer, der mit dem Ulcus cruris verbunden ist, muß uns unter den heutigen Bedingungen besonders berühren, daß die volkswirtschaftlichen Kosten, die durch dieses völlig vermeidbare Krankheitsbild entstehen, auf etwa 3,0 Milliarden € geschätzt werden.
Wie entsteht nun ein Ulcus cruris und wie kann man es ggf. verhindern oder doch zumindest erfolgreich behandeln? Hierüber sollen Sie auf den nächsten Seiten einiges erfahren. Es gibt eine Reihe von Sonderformen des Ulcus cruris; wir werden uns aber der Klarheit wegen auf die Beschreibung des Ulcus cruris beschränken, daß durch eine Venenerkrankung entsteht (Ulcus cruris venosum).
Der venöse Blutfluß
Das Venenblut = sauerstoffarmes = verbrauchtes Blut muß aus den Beinen zurücktransportiert werden zum Herzen, um dann erneut durch die Lungen gepumpt zu werden und neu mit Sauerstoff beladen zu werden. Dieser Weg aus den Beinen zurück zum Herzen geht, entgegen der Erdanziehung bergauf. Genau wie in der Natur das Wasser nicht von alleine bergauf fließt, genau so geschieht dies auch in den Beinen nicht von alleine, wenn nicht eine Kraft wirksam wird, die das Blut aus den Beinen heraustreibt. Wichtig bei diesem Mechanismus ist die Wadenmuskulatur und das Auf und Ab des Fußes im Sprunggelenk, weshalb man dies auch die Wadenmuskelpumpe und die Sprunggelenkspumpe nennt. Damit nun das Venenblut in der Phase, in der der Muskel erschlafft nicht wieder ins Bein zurückläuft, befinden sich in den Venen sog. Venenklappen, die sich bei beginnendem Rückwärtsfluß schließen wie Schleusentore und so den rückwärts gerichteten Blutfluß verhindern.
Venöse Insuffizienz
Wenn nun aber die Venenklappen bei Erkrankungen des Venensystems, wie z.B. der Krampfadererkrankung oder nach Zerstörung der Venenklappen nach einer tiefen Beinvenenthrombose nicht mehr verschlußfähig bzw. nicht mehr dicht sind, kann das Blut mit voller Kraft rückwärts ins Bein zurückfließen und wird nicht aufgehalten. Es wird dies aufgrund der Erdanziehung um so stärker sein, je ausgedehnter der Klappenschaden ist. Denken Sie an eine Tasse Wasser, die sie vom Tisch aus auf den Boden kippen oder die sie aus dem ersten Stock kippen. Nun ist das Venensystem eigentlich von seiner Konstruktion her ein Niederdrucksystem, im Gegensatz zum Arteriensystem, das ein Hochdrucksystem darstellt. Die Folge bei einem Anstieg des Venendruckes bei Klappenzerstörung bzw. Klappenverschlußunfähigkeit ist, daß das Venensystem auf die Dauer dem Druck nicht standhält und noch mehr geschädigt wird als es ohnehin schon ist. In diesem Stadium des Venenschadens werden durch den hohen Druck in das umgebende Gewebe Flüssigkeit, Eiweiße und Salze hinausgepresst und schließlich auch in die Haut hineingepresst. Das Bein schwillt an, die Haut verändert sich durch Pigmentierungen, Entzündungen und Vernarbungen.
Das Geschwür = Offenes Bein = Ulcus cruris
Diese Überfüllung der Gefäße mit nicht abtransportiertem und sauerstoffarmem Venenblut verhindert schließlich auch, daß frisches, sauerstoffreiches Blut zur Ernährung z.B. der Haut in ausreichendem Maße herantransportiert werden kann, und so kommt es schließlich zu mehr oder weniger ausgedehnten Gewebeuntergängen. Sind die Gewebeuntergänge klein, kommt es zu kleineren Vernarbungen, die wegen ihres weißlichen Aussehens an der Haut, als Atrophie blanche bezeichnet werden. Die Flecken bzw. Narben an der Haut sind deshalb so weiß, weil die Haut an diesen Stellen keine Gefäße mehr enthält. Wird der Gewebeuntergang größer und zusammenhängender, so kommt es zu regelrechten Löchern in der Haut, dem Ulcus cruris. Die mehr oder weniger ausgeprägte Entzündung im Geschwür führt zu u.U. sehr heftigen Schmerzen und je nach dem, welche Bakterien das Geschwür besiedeln, entströmt diesem ein mehr oder minder übler Geruch. Wird nun nicht endlich die richtige Behandlung eingeleitet, dann werden diese Geschwüre größer und größer und der Betroffene schließlich zur Gehunfähigkeit verdammt. Die Geschwüre (Ulcera) befinden sich entsprechend ihrer Entstehungsgeschichte immer an den Orten, wo der Druck in den kranken Venen am höchsten ist, also nahe am Fuß. Das typische Ulcus cruris liegt daher im Bereich der Fußknöchel oder hinter den Knöcheln, in der Kulisse, meist auf der Innenseite, aber auch gelegentlich oder gleichzeitig auf der Außenseite. Das typische Ulcus cruris venosum ist also nie am Knie oder am Oberschenkel zu finden.
Aus dem bisher Gesagten geht auch hervor, daß das Ulcus cruris nicht von heute auf morgen entsteht, sondern immer eine lange Vorgeschichte hat. Häufig hören wir von den betroffenen Patienten, daß sie sich gestoßen haben. Dies mag in Einzelfällen tatsächlich so sein, meistens aber hat das Entstehen des Ulcus mit einer Verletzung überhaupt nichts zu tun und die Patienten versuchen ihren Schrecken über das offene Bein nur auf diese Weise zu "erklären". Das Ulcus ist also keine Verletzung sondern der traurige Endpunkt einer oft langen, nicht ernst genommenen Entwicklung. Dieser Verlauf hätte frühzeitig gestoppt werden können und das Ulcus hätte so verhindert werden können. Aber wer hört schon gern, daß er etwas nachlässig war. Die Wahrheit führt aber an dieser Erkenntnis nicht vorbei. Doch schließlich gilt auch hier, lieber eine späte Einsicht als gar keine.
Die Behandlung
Wie geht es nun weiter? Eigentlich ist aus dem was Sie bisher über die Entstehung eines Ulcus cruris gehört haben klar, daß das eigentliche Problem und die Ursache im erhöhten Druck im Venensystem zu suchen ist. Also müssen wir Wege finden um diesen Druck zu senken, in der Hoffnung, dadurch den Prozeß zum Stillstand zu bringen und evtl. sogar umkehren zu können. Aber wie kann man diese Druckentlastung in den Venen erreichen? Zunächst muß klar sein, daß eine schnelle Gesundung des Systems nicht zu erwarten ist, denn inzwischen hat natürlich die chronische Druckerhöhung im Venensystem die Venen so sehr geschädigt, daß sie nicht mehr heilbar sind. Aus alt mach neu, ist hier leider nicht zu erreichen. Um das angestrebte Ziel, den Druck in den Venen zu verringern, brauchen wir den Patienten eigentlich nur auf den Kopf zu stellen, oder doch zumindest ins Bett zu legen und schon ist der Druck geringer. Wenn wir dann noch lange genug warten und etwas Glück haben, heilt das Ulcus ab. Es liegt auf der Hand, daß dies keine Lösung sein kann, denn schließlich müssen wir den Patienten irgendwann wieder auf die Füße stellen oder er muß irgendwann wieder aufstehen. Kaum steht der Patient auf den Beinen, ist alles wieder wie vorher, denn es kann sich ja an den zugrundeliegenden Verhältnissen nichts geändert haben. Die Lösung des Problems ist eigentlich ganz einfach. Das heute noch gültige Prinzip der Behandlung wurde Ende des 19. Jahrhunderts von Heinrich Fischer erstmals durchdacht und beschrieben.
Kompressionsverbände aus nicht elastischen Materialien und Bewegung sorgen dafür, daß der Druck gesenkt wird und das Venenblut aus dem Bein herausgepumpt wird. So einfach ist das, wobei natürlich der Teufel, wie immer, im Detail steckt. Die lokale Behandlung der infizierten Wunden und die schwierige Verbandstechnik, machen eine fachgerechte und fachmännische Versorgung notwendig. Die Behandlung des normalen Ulcus cruris ist also zunächst einmal rein konservativ, d.h. nicht operativ. Nur in besonderen Fällen oder bei extrem großen Ulcera oder Sonderformen der Ulcus-Krankheit sind Operationen in der Frühphase notwendig. Hat man erst einmal die ersten Erfolge verbucht, das Ulcus hat sich gesäubert, die Schmerzen lassen nach und insbes. die Sekretion aus dem Geschwür ist zurückgegangen, kann man den Verband gegen einen Kompressionsstrumpf einer hohen Kompressionsklasse tauschen, und der Patient kann sich nun zeitweise wieder selbst versorgen.
Es erscheint an dieser Stelle notwendig, nochmal darauf hinzuweisen, daß mit dem richtigen konservativen Konzept jedes normale Ulcus cruris venosum zur Abheilung gebracht werden kann. Nur Ausnahmsweise sind zur Abkürzung des Heilungsverlaufs, Hauttransplantationen o.ä erforderlich.
Wichtig ist in dieser Phase, daß der Patient immer wieder daran erinnert wird, daß zwar das Ulcus heilt, nicht aber die zugrundeliegenden Ursachen. Das heißt also auch, die Behandlung endet nicht mit dem Abheilen des Geschwürs, sondern muß lebenslang anhalten, ansonsten geht der ganze Prozeß wieder von vorne los.
Ob dann in der dritten Phase noch weitergehende Behandlungen, wie etwa die Behandlung einer zugrundeliegenden Krampfadererkrankung sinnvoll oder gar notwendig ist, muß im Einzelfall entschieden werden.
Sie sollten jetzt verstanden und behalten haben:
- Jedes Ulcus cruris venosum kann abheilen.
- Die Notwendigkeit zur Drucksenkung in Ihrem kranken Venensystem bleibt lebenslang bestehen.
- Die Ulcus-Krankheit kann gebessert werden, aber nicht geheilt werden, soweit die Ursachen gemeint sind.
- Jeder ist seines Glückes Schmied, d.h. jeder Betroffene muß sich dauerhaft selbst um sein Bein kümmern.
- Guter Rat ist nicht immer teuer, man muß aber wissen wo man ihn bekommt. Sie wissen es jetzt.
Wenn Sie Rat brauchen, wir kennen die Lösung.