"Blutverdünnung" - Therapie mit Antikoagulantien
Liebe Patientin, lieber Patient.
In den letzten Jahren ist die Diagnostik der Gerinnungsstörungen (Thrombophilien) immer vollkommener geworden. Die Möglichkeiten der Behandlung haben sich jedoch leider nicht in gleichem Maße entwickelt. Im Folgenden sollen Sie kurz etwas über die verschiedenen Möglichkeiten der aktiven Beeinflussung der Blutgerinnung zur Therapie von Gefäßkrankheiten erfahren. Die Therapie befaßt sich in diesem Bereich i.d.R. mit der Verlangsamung der Blutgerinnung, d.h es dauert dann länger bis eine äußere oder innere Ursache dazu führt, daß das Blut gerinnt. Dies führt dann dazu, daß ein bestimmter krankhafter Einfluß eine gesteigerte Blutgerinnung nicht mehr auslösen kann. Der so behandelte Patient wird nun zum künstlichen (jedoch kontrollierten) Bluter. Ein Begriff, den wir nicht so gerne hören, weil nicht zutreffend, der aber weit verbreitet ist, ist der der Blutverdünnung. Die Blutdicke, d.h. die Zähigkeit des Blutes, wird ganz wesentlich beeinflußt von der Konzentration der Blutbestandteile, also dem Verhältnis von Blutzellen und Blutplasma. Wenn man also Blut verdünnen will (Hämodilution), ein durchaus gängiges Therapieprinzip, so muß man Blutzellen entfernen (Aderlaß) und Flüssigkeit zuführen (Infusion). Grundsätzlich muß man unterscheiden:
A. Substanzen, die in die Gerinnung eingreifen
- Heparin
- Hirudin (z.B. Reflundan®)
- Danaparoid-Natrium (Orgaran®)
- Kumarin (z.B. Marcumar®)
- Acetylsalicylsäure, ASS (Aspirin®)
- Ticlopidine (Tiklid®)
- Clopidogrel (Plavix®)(Iscover®)
1. Heparin
Heparin ist ein Gemisch aus Mucopolisaccharid-Poly-schwefelsäureester unterschiedlicher Molekülgröße. Heparin bildet zusammen mit dem im Blut vorhandenen Faktor Antithrombin-III (ATIII) einen Komplex, der eine Hemmung der Faktoren Xa und Thrombin bewirkt und damit die Gerinnung hemmt. Die Hemmwirkung tritt sofort nach der Verabreichung ein. Das Ausmaß der Hemmung ist abhängig von der Menge an Heparin, die zugeführt wird. Diese wird gemessen durch die Verlängerung einer Labor-Gerinnungs-Zeit, der PTT (Partielle Thromboplastin-Zeit). Die PTT dient zur Steuerung der Therapie und zur Abstimmung der Herparin Dosis.
Heparin kann nur gespritzt werden; früher nur intravenös und seit einigen Jahren auch subcutan. Heparin ist aufgrund dieser Anwendungsbesonderheit nur für die Akut-Therapie und für kurze Therapiezeiten geeignet. Daneben kommt Heparin zur Anwendung bei der Thrombose-Prophylaxe. Die Tatsache, daß die unterschiedlich großen Moleküle des Heparin-Gemisches eine unterschiedliche Wirkung haben, hat zur Entwicklung der niedermolekularen Heparine (NMH) geführt. Zwar bringen die NMH nicht, wie erwartet bessere Therapieergebnisse, aber die Therapie ist sehr viel einfacher geworden. Bei den NMH ist die subcutane Injektion der i.v. Anwendung gleichwertig und man braucht bei der gewichtsadaptierten Dosierung keine Laborkontrollen für die Therapiesteuerung durchzuführen. Die NMH haben auch die ambulante Heparin-Therapie wesentlich sicherer gemacht und erheblich vereinfacht. Bei der Prophylaxe ebenso wie bei der therapeutischen Anwendung, etwa bei einer tiefen Beinvenenthrombose, reicht eine 1malige Injektion unter die Haut im Abstand von 24 Stunden. Die Heparin-Wirkung kann aufgehoben werden durch einen Hemmstoff (Protamin®).
Die Möglichkeiten von Komplikationen der Heparin-Anwendung liegen einmal in der Überdosierung und damit der Möglichkeit von Blutungen und darüber hinaus in einer allergischen Reaktion auf das Heparin, der sog. HIT. Von der HIT gibt es zwei Formen, die HIT I, die als harmlos gelten kann und die ziemlich seltene HIT II, die durchaus als sehr ernsthafte Komplikation gelten muß. Um die HIT erkennen zu können ist unter der Heparin-Therapie eine regelmäßige Blutbildkontrolle notwendig, da sich als Frühsymptom eine Verminderung der Thrombozytenzahl (Blutplättchen) bemerkbar macht.
2. Hirudin
Hirudin (Reflundan®) ist der Wirkstoff, der sich im Speichel der Blutegel befindet und der in einigen chemischen Abwandlungen zur Gerinnungshemmung eingesetzt werden kann. Der Wirkungsmechanismus unterscheidet sich von dem des Heparins. Da es keine Kreuzreaktionen gibt, kann Hirudin bei der Therapie der HIT eingesetzt werden und dazu ist das Präparat auch bislang ausschließlich zugelassen.
3. Danaparoid-Natrium (Orgaran®)
Orgaran enthält eine Mischung aus niedermolekularen sulfatierten Glycosamingglykanen. Orgaran ist in Deutschland z.Z. nicht zugelassen. Es besitzt nur eine Bedeutung als Alternativpräparat bei Unverträglichkeiten bei der Anwendung üblicher Heparin-Präparate, oder zum Einsatz bei der HIT (Heparin-induzierten-Thrombozytopenie), einer Komplikation, als Ausdruck einer allergischen Reaktion auf Heparine. Das Präparat kann bei Bedarf besorgt werden.
4. Kumarine (Marcumar®)
Kumarine sind Stoffe, die die Aufnahme des Vitamin K aus dem Darm hemmen, also ein sog. Anti-Vitamin-K. Kumarine können als Tablette eingenommen werden. Als Folge der Einnahme kommt es zu einer Verminderung der Vorräte an Vitamin K im Körper. Dies führt dazu, daß die Gerinnungsfaktoren, die bei ihrer Bildung im Körper von der Anwesenheit von Vitamin K abhängig sind, vermindert gebildet werden. Die Konzentration dieser Gerinnungsfaktoren (Faktor II, VII, IX, X) nimmt ab und die Gerinnung läuft als Folge hiervon verzögert ab. Die Gerinnungsverzögerung ist abhängig von der Dosis an Marcumar®. Da die notwendige Dosis von Mensch zu Mensch unterschiedlich ist und darüber hinaus abhängig ist von der Ernährung (Vitamin K-reiche Nahrungsmittel, wie alle Kohlsorten und Innereien), ist eine individuelle Dosierung notwendig. Die Dosierung wird überwacht durch die Bestimmung einer Laborgerinnungszeit, früher der Thromboplastinzeit nach QUICK, die die Gerinnungszeit in % der Norm angibt. Als Therapieziel gilt, von besonderen Fällen abgesehen, ein Quick von 20-30%. Wegen der Abhängigkeit des Quickwertes von Laborstandards hat man in den letzten Jahren eine internationalen normierten Standard entwickelt, der überall auf der Welt unabhängig von Laborstandard gleich ist, die International normed ratio (INR). Üblicherweise sollte heute nur noch der INR verwendet werden. Über die Einnahme des Marcumar® und den Quick-Wert, besser INR muß ein Ausweis geführt werden, den der Patient ständig bei sich tragen sollte. Die Wirkung der Marcumareinnahme wird verstärkt durch eine Reihe von Medikamenten, wie z.B. alle Rheumamittel und sie wird vermindert durch eine Reihe von Schlafmittel, Beruhigungsmittel und durch Kortison. Marcumar® kann neutralisiert werden durch Vitamin K (Konakion®), jedoch tritt diese Antidot-Wirkung zeitlich verzögert ein, da die Faktoren ja erst neu synthetisiert werden müssen. Die Anwendung und Steuerung von Marcumar® ist u.U. schwierig und durchaus von Komplikationsmöglichkeiten, wie Blutung, Kumarin-Nekrosen etc. begleitet und muß daher unter ärztlicher Kontrolle stehen. Der Patient sollte selbständig keine Dosis-Änderungen durchführen. Die gleichzeitige Einnahme von Marcumar® und Aggregationshemmer vom Typ der ASS ist problematisch und sollte daher nicht routinemäßig erfolgen.
Marcumar ist wegen der oralen Einnahmemöglichkeit für die Langzeit-Anwendung geeignet.
5. Thrombozyten-Aggregationshemmer
Die Thrombozyten (Blutplättchen) haben mit dem bislang genannten Gerinnungssystem nicht direkt etwas zu tun. Die Hemmung der Aggregation (Haftfähigkeit) der Thrombozyten hat nur eine Bedeutung bei Erkrankungen des Arteriensystems, etwa bei allgemeiner Arteriosklerose, nach Herzinfarkten, nach Gefäßoperationen oder PTA. Der Nutzen dieser Aggregationshemmung ist jedoch durchaus umstritten. Eine zuverlässige Studie zum Nutzen der ASS-Therapie liegt nur für die Koronarsklerose (Herzkranzgefäßerkrankung) vor. In der Behandlung von Thrombosen des Venensystems oder deren Prophylaxe haben die Thrombozyten-Aggregationshemmer nichts zu suchen, da unwirsam.
ASS = Acetylsalicylsäure (Aspirin®) ist eines der ältesten noch im Handel befindlichen Medikamente. Die Aggregationshemmung wurde erst vor einigen Jahren entdeckt. Strittig ist immer noch die Dosis, die zur optimalen Aggregationshemmung erforderlich ist. Zur Zeit wird allgemein eine Dosis von 100mg pro Tag bevorzugt. Nebenwirkungen sind im Wesentlichen durch Magenunverträglichkeiten bedingt. In diesem Fall kann auf andere Aggregationshemmer ausgewichen werden. Vor den meisten Operationen soll das Präparat für mindestens 14 Tage abgesetzt werden, wegen der ansonsten sehr unangenehmen Blutungsneigung.
Ticlopedine = Tiklid®
Das Präparat ist als Ausweichpräparat für ASS von Bedeutung. Die Nebenwirkungen sind andere als beim ASS und können dazu führen, daß man auf weitere Alternativen ausweichen muß. Der Beweis der besseren oder intensiveren Wirksamkeit, die den generellen Einsatz, trotz des erheblich höheren Preises, rechtfertigen würden, fehlt. Das Präparat wird nur noch selten eingesetzt.
Clopidogrel = Plavix®, Iscover®
ist das neueste Präparat zur Aggregatioshemmung auf dem Markt. Das Präparat ist als Ausweichpräparat für ASS und Ticlopedine von Bedeutung. Die Nebenwirkungen sind andere als bei ASS und Ticlopedine und können dazu führen, daß man auf die älteren Präparate ausweichen muß. Der Beweis der generell besseren oder intensiveren Wirksamkeit, die den bevorzugten Einsatz, trotz des erheblich höheren Preises, rechtfertigen würden, fehlt.