Antikoagulation mit Kumarinen
Liebe Patientin, lieber Patient.
Wegen einer Erkrankung der Gefäße und deren Folgen ist bei Ihnen für einen gewissen Zeitraum oder auf Dauer eine Herabsetzung der Gerinnungsfähigkeit Ihres Blutes notwendig. Wie das geschieht und welche Dinge man dabei Ihrerseits beachten muß, um einerseits eine gute Wirksamkeit zu garantieren und andererseits die Gefahr von Komplikationen durch das Medikament zu minimieren, bzw. nach Möglichkeit, ganz zu verhindern, sollen Sie auf den nächsten Seiten lernen. Ein sorgfältiges, am besten mehrfaches Studium dieses Leitfadens wird daher anempfohlen.
Physiologische Grundlagen
Die Funktion unseres Gefäß- und Kreislaufsystems ist abhängig von der Möglichkeit das System im Notfall abzudichten und innere Reparaturvorgänge in Gang zu setzten. Zu diesem Zweck hat die Natur ein sehr sinnreiches jedoch außerordentlich kompliziert aufgebautes und reguliertes System der Blutgerinnung entwickelt. Es liegt auf der Hand, daß ein System, das im Notfall in sekundenschnelle mit voller Kraft reagieren können muß, in ständiger Reaktionsbereitschaft gehalten werden muß. Damit dieses System nun nicht bei jeder Kleinigkeit oder Irrtum ausgelöst wird, müssen andererseits Sicherheitsmaßnahmen getroffen werden, die dieses verhindern. Ein komplexes System von hemmenden und aktivierenden Faktoren soll dies gewährleisten. Diese Zusammenhänge sind der Grund dafür, daß Eingriffe in dieses System so kompliziert und schwierig zu steuern sind und andererseits eben das Blutgerinnungssystem doch häufig außer Kontrolle gerät und so zu Thrombosen führt.
Sinn der Antikoagulation
Unter Antikoagulation versteht man die Gerinnungs-hemmung. In allen solchen Fällen, in denen eine krankhaft gesteigerte Gerinnung zu einer unsachgemäßen Reaktion des Systems geführt hat, also Thrombosen ausgelöst hat, und alle Erkrankungen oder Therapiemaßnahmen von denen man weiß, daß sie eine Gefahr der unkontrollierten Gerinnungsauslösung bedeuten, versucht man die Gefährdung durch unkontrollierte Gerinnung durch eine kontrollierte Gerinnungshemmung zu vermindern oder zu verhindern. Gerinnungshemmung bedeutet in diesem Sinne immer, daß die Gerinnungsfähigkeit des Blutes vermindert wird, d.h. es ist schwieriger eine Gerinnung auszulösen und es dauert länger bis die angestoßene und in Gang gekommene Gerinnung überhaupt zu einem Gerinnsel, einem Thrombus, führt.
Mechanismus der Antikoagulation
Es gibt verschiedene Wege in das Blutgerinnungssystem einzugreifen mit dem Ziel, die Gerinnung zu verlangsamen. Ein Medikament, das eine sofortige Gerinnungshemmung auslöst und durch Spritzen zugeführt werden muß, ist das Heparin. Das Heparin wird aus diesen Gründen auch in allen Fällen einer akuten Behandlungsnotwendigkeit eingesetzt. Eine Substanzgruppe, die nicht sofort wirkt, sondern eine Anlaufzeit braucht, aber auch nicht sofort in ihrer Wirkung gestoppt werden kann, dafür aber den großen Vorteil hat, geschluckt werden zu können, sind die Kumarine. Das in Deutschland bekannteste Präparat hierzu ist das Marcumar®. Kumarin ist ein Antivitamin K. Kumarin hemmt im Darm die Aufnahme von Vitamin K aus der Nahrung. Das Vitamin K ist wiederum ein notwendiger Co-Faktor bei der Produktion (Synthese) bestimmter Gerinnungsfaktoren z.B. in der Leber. Es sind dies im Wesentlichen die Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X. Ist weniger Vitamin K vorhanden, werden weniger Faktoren gebildet und die Gerinnung verläuft vermindert und langsamer ab. Die Gerinnungshemmung kann gemessen werden mit einem Labortest, bei dem bestimmt wird, in welcher Zeit unter bestimmten Bedingungen die Blutgerinnung in einer Blutprobe eintritt. Dieser Gerinnungstest wurde von einem Herrn namens Quick entwickelt, weshalb der Test heute noch als Quick-Test bezeichnet wird. Der Quick-Test führt zu einem Quickwert, der die gemessene Gerinnungszeit in % einer normalen Gerinnungszeit angibt. Anzustrebender Quickwert ist bei strenger Therapieeinstellung 20-25%. Es liegt auf der Hand, daß das Ausmaß der Gerinnungshemmung vom Ausmaß der Verminderung an Gerinnungsfaktoren abhängt und damit weiter abhängt von der Menge an Vitamin K, die noch vorhanden ist. Wird nun eine Vitamin K-reiche Ernährung durchgeführt, so muß die Dosis an Kumarin entsprechend höher sein. Dies bedeutet, die Dosis an Kumarin, die notwendig ist, um das gewünschte Ausmaß an Gerinnungshemmung zu erreichen, muß individuell festgelegt werden und ständig überwacht werden. Hierzu dient der Quick-Wert. Bei der Bestimmung des Quick-Wertes gibt es jedoch einige methodische Probleme, die von der Testsubstanz und der Normalwertbestimmung abhängen, weshalb man in den letzten Jahren versucht hat durch einen normierten Test diese Methodenabhängigkeit auszuklammern und damit die Ergebnisse der Gerinnungshemmung international vergleichbar zu machen. Hierzu wurde der INR-Wert entwickelt (international normed ratio), der sich jedoch in Deutschland immer noch nicht durchgesetzt hat. Es ist jedoch sicher notwendig dies in den nächsten Jahren zu ändern. Sie sollten nur nach dem INR-Wert handeln. Die INR gibt den Quotienten aus der Thromboplastinzeit des Patienten und der eines Referenzpräparates an. Mit abnehmendem Quick wird die INR größer. Da in die Berechnung der INR die Gerinnungszeiten in Referenz zu einem Standart-Reagenz eingehen, ist eine direkte Umrechnung in den Quick-Wert und umgekehrt nicht so einfach möglich. Grob gesagt kann man die folgenden Größenordnungen in etwa unterstellen und annehmen.
Indikation |
Quick-Ziel |
INR-Ziel |
INR-Bereich |
Thrombophilie (Dauer-Ther.) |
35 |
3,0 |
2,5-4,0 |
Akute Venen-Thrombose |
20-25 |
3,5 |
3,0-4,5 |
Z.n. PTA, Gefäß-OP, ACVB etc. |
20-25 |
3,5 |
3,0-4,5 |
Herzklappe |
20 |
4,0 |
3,5-5,0 |
Gründe für eine Antikoagulation Einige Erkrankungen und Ereignisse, die häufig eine vorübergehende oder dauerhafte Behandlung mit Marcumar® notwendig machen (Indikationen), seien, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, aufgeführt.
- Thrombosen des Venensystems
- Angeborene und erworbene gesteigerte Gerinnungsfähigkeit (Thrombophilie)
- Herzinfarkt, Zustand nach Herzoperation
- Zustand nach Gefäßoperation
- Absolute Arrhythmie mit Vorhifflimmern
Nebenwirkungen
Nebenwirkungen des Medikamentes sind im Wesentlichen bestimmt durch Überdosierung und eine damit verbundene Blutungsneigung. Dies macht sich bemerkbar z.B. bei Verletzungen, beim Zähneputzen am Zahnfleisch, aber auch ohne äußeren Anlaß durch Blut im Urin etc.. Im unangenehmsten Fall, bei erheblichem Absinken des Quick-Wertes, können auch Blutungen in inneren Organen auftreten. Eine besondere Rolle spielen die sog Kumarin-Nekrosen eine extrem seltene Nebenwirkung durch die Kumarine bei der es zu lokalisierten Gewebeuntergängen kommt. Die Ursache dieser Reaktion ist nicht genau geklärt.
Verhaltensweisen
Sie müssen immer in der Lage sein, Auskunft zu geben darüber, daß sie Marcumar® einnehmen. Aus diesem Grunde erhalten Sie einen Marcumar®-Ausweis, den Sie ständig bei sich tragen sollen. Darin werden jeweils die INR-Werte mit Datum eingetragen sowie die Medikamentendosis, die sie an den folgenden Tagen jeweils einnehmen sollen. Diese Festlegung nimmt ihr Arzt vor. Die Abstände zwischen den INR-Wert-Kontrollen sind individuell sehr unterschiedlich.
Am festgelegten Tag wird morgens Blut abgenommen. Abends melden Sie sich in der betreuenden Praxis zur festgelegten Zeit und erfragen den Quick-Wert oder INR-Wert, den Sie in ihren Ausweis eintragen. Danach erhalten Sie die Angaben über die Zahl der Tabletten, die sie einnehmen sollen und tragen dies in die Tagesspalten ein.
Einnahmeregeln: Nehmen Sie Marcumar® immer zur gleichen Tageszeit und unter den gleichen Umständen zu sich, damit die Aufnahmebedingungen (Resorption) im Körper wenigstens annähernd gleich und damit einigermaßen vorausschauend kalkulierbar sind. Am besten bewährt hat sich die Einnahme abends nach dem Abendessen.
Achten Sie auf Ihre Ernährung, vermeiden Sie Vitamin K-reiche Nahrungsmittel, wie alle Sorten Kohl, Spinat und Innereien. Wenn Sie Vitaminpräparate einnehmen, achten Sie auf Vitamin K-freie Präparate.
Bei Einnahme von sonstigen Medikamenten sollten Sie immer die Verträglichkeit mit Marcumar® prüfen. Eine Reihe von Medikamenten verstärken die Wirkung, wie z.B. Rheumamittel, andere vermindern die Wirkung, wie manche Schlaf- und Beruhigungsmittel und insbes. Kortison. Die gleichzeitige Einnahme von Marcumar® und Aggregationshemmer vom Typ der ASS (Aspirin) ist problematisch und sollte besser unterbleiben, bzw. nicht routinemäßig erfolgen. Achten Sie darauf, daß viele "Kopfschmerzmittel" ASS enthalten.
Bitte beachten Sie:
Sorgfalt und Zuverlässigkeit bei der Einnahme sind wichtige Voraussetzung für die bestmögliche und gefahrlose Wirkung von Marcumar®. Marcumar® ist kein Bonbon. Nehmen Sie auf keinen Fall selbst Änderungen an der Dosis vor, ohne mit Ihrem betreuenden Arzt Rücksprache genommen zu haben. Vor jeder sonstigen Besonderheit, Zahnbehandlung, Spritzen, Unfällen etc. müssen Sie unbedingt auf die Marcumar®-Behandlung hinweisen.
Hier ist dann ggf., wenn auf die Antikoagulation nicht verzichtet werden kann, eine überbrückende Umstellung auf Heparin notwendig (bridging).
Sorgfalt und Disziplin sind die wichtigsten Voraussetzungen für eine unproblematische Behandlung mit Kumarinen.