Schaufensterkrankheit - AVK
Sehr geehrte Patientin, sehr geehrter Patient.
Eine gute Zusammenarbeit zwischen Patient und Arzt ist wesentlich für den Erfolg der Therapie. Die Zusammenarbeit kann nur gelingen, wenn beide Teile wissen, um was es geht. Unser INFO-System soll Sie im Rahmen der Bemühungen und PE (patient education) in allgemein verständlicher Form aufklären über Erkrankungen und medizinische Zusammenhänge. Die zugrunde liegenden Themen enthalten oft komplizierte Fakten und komplexe Zusammenhänge, so dass es nicht ganz leicht ist, die Balance zu finden zwischen Genauigkeit und Verständlichkeit. Wir haben unser Bestes versucht. Sollten Sie etwas in den Darlegungen nicht verstehen, so sprechen Sie uns an.
Ihr Gefäßpraxis-Team
Eine ausreichende Durchblutung ist lebenswichtig!
Zur ordnungsgemäßen Funktion und zum Erhalt der Gewebestruktur benötigen Organe, Muskeln und andere Gewebe des menschlichen Organismus ein gewisses Mindestmaß an Durchblutung. Dies ist notwendig, um in ausreichendem Maße mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt zu werden und den Energie-Nachschub zu gewährleisten. Werden besonders anstrengende Leistungen angefordert, so steigt der Energiebedarf und es muss mehr Blut mit Sauerstoff und Nährstoffen herangeschafft werden, d.h. die Durchblutung muss zunehmen. Ruht der Muskel oder das Organ, so kann die Durchblutung abnehmen und auf die sog. Ruhedurchblutung zurückgeführt werden. Nimmt die Durchblutung durch krankhafte Prozesse ab, so kommt es nach Unterschreiten der Ruhedurchblutung zu Funktionseinbußen, z.B. Ruheschmerz. Fällt die Durchblutung unter eine kritische Größe, den sog. Erhaltungswert, so kommt es zu Gewebeuntergängen, z.B. zu schwarzen Zehen.
Wie kommt es zu Minderdurchblutungen?
Minderdurchblutungen in bestimmten Körperabschnitten oder Organen können zustande kommen durch Minderung der Herzleistung (diese soll in dem hier gegebenen Zusammenhang nicht weiter betrachtet werden), durch Einengungen der arteriellen Blutgefäße (Stenosen) und durch Verschlüsse der versorgenden Blutgefäße durch Arteriosklerose. Seltener kommt es zu Verschlüssen durch sog. Embolien (Verschleppung von Material, z.B. Gerinnsel, in der Blutbahn) oder durch entzündliche Gefäßerkrankungen (Vasculitiden).
Tritt eine krankhafte Minderdurchblutung in den Extremitäten auf, so spricht man von einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit AVK.
Wie bemerkt man eine AVK?
Eine AVK kommt nicht von heute auf morgen, sie entwickelt sich vielmehr allmählich. Nehmen wir an, es entwickelt sich in einer Arterie eines Beines, auf der Basis einer Arteriosklerose, langsam zunehmend eine Einengung, die schließlich nach längerer Zeit in einem Verschluss endet.
Zunächst wird der Betroffene überhaupt
nichts bemerken, weil die Einengung so gering ist, dass es auch unter Belastungssituationen nicht zu einer Minderdurchblutung kommt. Aufgrund von Naturgesetzen, die in der physikalischen Strömungslehre beschrieben werden (Hagen-Poiseuille´sches Gesetz) bleibt bei gleichbleibendem (arteriellem) Blutdruck die durchströmende Blutmenge gleich, es erhöht sich vielmehr in der Stenose lediglich die Strömungsgeschwindigkeit. Der Fachmann sagt, die Stenose ist hämodynamisch nicht relevant. Zu diesem Zeitpunkt bemerkt der Betroffene noch Nichts, mit technischen Untersuchungsmitteln könnte man die Stenose jedoch bereits darstellen.
Die Einengung (Stenose) wird nun allmählich immer enger werden und schließlich werden erste Beschwerden in Form von Schmerzen unter stärkerer Belastung im betroffenen Bein auftreten, z.B. bei schnellem Gehen oder Laufen, beim Treppensteigen, oder es fällt erstmals auf beim Urlaub im Gebirge. Wird die Stenose noch etwas enger, so werden die Beschwerden bereits bei Alltagsverrichtungen, wie normalem Gehen etc., auftreten. Die Betroffenen berichten dann, dass sie, z.B. nach 100 oder 150 m Gehstrecke Schmerzen im betroffenen Bein verspüren, die sie veranlassen, stehen zu bleiben. Nach einer kurzen Ruhephase können sie dann erneut die genannte Strecke bewältigen. Dies ist das Stadium der Claudicatio intermittens, oder wie der Laie gerne sagt "Schaufensterkrankheit". Diese Bezeichnung ist zustande gekommen dadurch, dass Betroffene beim Auftreten der Beschwerden dies häufig nicht gerne zugeben wollen und dann völlig unmotiviert vor einem Schaufenster stehen bleiben, bis der Schmerz sich gelegt hat.
Fontaine hat im vorigen Jh. die Einteilung der Stadien der AVK etwas genauer vorgenommen:
Stadium 1 |
AVK ohne Beschwerden |
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Stadium 2a |
Claudicatio intermittens. |
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Stadium 2b |
Claudicatio intermittens. |
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Stadium 3 |
Ruheschmerz |
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Stadium 4 |
Gewebeuntergang |
Die überwiegende Zahl der peripheren Gefäßeinengungen und Gefäßverschlüsse betrifft die Becken- und Beingefäße. Die Armgefäße sind nur selten betroffen. Man kann aus der Lokalisation der Beschwerden Rückschlüsse auf die Lokalisation der Gefäßveränderung ziehen. Es liegt auf der Hand, dass die Gebewebereiche, die stromabwärts einer Stenose oder eines Verschlusses liegen, von der Minderdurchblutung betroffen sind. Dies bedeutet, liegt das Hindernis in der Beckenstrombahn, schmerzt es im Gesäß und im Oberschenkel, liegt das Hindernis im Oberschenkel, so schmerzt es in der Wade etc.
Kollateralen
Kollateralen sind Umgehungsbahnen, die sich in der Nähe von Strombahnhindernissen, aus dort vorhandenen Gefäßen ausbilden, um eine Verbesserung der Durchblutung zu erreichen.
Wie kommt es zur AVK?
Die AVK ist Folge der Arteriosklerose, sie ist keine eigenständige Erkrankung, sondern nur eine besondere Lokalisation der allgemeinen Arteriosklerose. Sie gilt als Marker-Erkrankung, d.h., die AVK weist darauf hin, dass eine Arteriosklerose vorliegt und soll Anlass sein, nach anderen Lokalisationen der Arteriosklerose zu suchen.
An der AVK stirbt man i.d.R. nicht. Es gibt allerdings niemanden, der an Arteriosklerose erkrankt ist, der nicht auch zusätzlich in Gefäßabschnitten erkrankt ist, die lebenswichtige Organe versorgen, wie z.B. Herz und Gehirn. Dies bedeutet, dass der AVK-Patient hinsichtlich seiner Lebenserwartung wesentlich gefährdet ist durch Schlaganfall (ZVI) und Herzinfarkt (KHK). Wegen der Kombination mit den anderen Lokalisationen der Arteriosklerose ist die Sterblichkeit der AVK-Patienten im natürlichen Verlauf fast doppelt so hoch wie in der altersentsprechenden Vergleichsgruppe ohne AVK. Bei Fortbestehen der die Erkrankung verstärkenden bzw. auslösenden Faktoren wie Bluthochdruck, Rauchen, schlecht eingesmellter Diabetes mellitus leben von 100 pAVK-Patienten nach 2 Jahren noch 60, d.h., 40 sind verstorben: An Herzinfarkt, Schlaganfall
Die Abbildung soll Ihnen verdeutlichen, wie sich die Erkrankungslokalisationen überschneiden können.
Die Tatsache, dass man an der AVK i.d.R. nicht verstirbt, soll aber keinesfalls zu der irrigen Auffassung führen, die AVK sei daher ungefährlich. Es liegt auf der Hand, dass der mehr oder weniger ausgeprägte Verlust der Gehleistung eine ganz wesentliche Beeinträchtigung der Lebensführung und der Lebensqualität zur Folge hat und im Extremfall zum Extremitätenverlust führen kann. Dies führt bei jüngeren Patienten häufig zur Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg, und bei älteren Patienten oft zu einem Verlust der Selbstversorgungsfähigkeit.
Wie häufig ist so etwas?
Die AVK wird bei etwa 10% der deutschen Bevölkerung angetroffen. Naturgemäß ist die AVK in den jüngeren Altersgruppen seltener und erreicht den Häufigkeitsgipfel in der Gruppe der 60-70jährigen.
Wer bekommt eine AVK?
Die AVK als Folgeerkrankung der Arteriosklerose ist wiederum in der direkten Abhängigkeit von den Risikofaktoren für die Arteriosklerose zu sehen.
Schlussfolgerung
Die AVK ist gut behandelbar. Dazu aber ist die Frühdiagnose wichtig. Wer erst zur Diagnostik kommt, wenn die erste Zehe schwarz ist, hat schlechte Karten.
Wer soll oder muss speziell untersucht werden?
- Alle Menschen in den speziell betroffenen Altergruppen (50 - 100J)
- Menschen mit mehr oder weniger typischen Beschwerden in den Beinen und alle Menschen mit speziellen Risikofaktoren, wie
- Diabetes mellitus und
- Fettstoffwechselstörungen, sowie
- Langzeithochdruckerkrankung, aber auch mit
- bekannter familiärer Belastung für Arteriosklerose und AVK und natürlich
- die Raucher. Nikotin ist ein außerordentlich starkes Gefäßgift und hat, bei chronischem Gebrauch, ein hohes Risiko für die Entwicklung einer Arteriosklerose zur Folge.